KAPITEL 4
Die dunkle Bedrohung- oder: Der Lotse geht von Bord
Der anschließende Umgang mit dem neuen Songmaterial zeigte jedoch auch, dass bereits ein, noch unscheinbarer, Riss durch die Band ging. Während Byers, Sabothe und Petersen diesen neuen Weg gerne weitergegangen wären, waren insbesondere Degray und später auch Nischwitz unerwartet skeptisch, was die Zielrichtung bzw. die Geschwindigkeit dieser Entwicklung anging. Dies war umso erstaunlicher, da sowohl Land Of The Lonely als auch Queen Of The Rodeo aus der Feder von Hanzy Nischwitz stammten und auch die Postulierung der Songs im Jukebox-Hit-Format Nischwitz Idee war. Möglicherweise war Degrays Skepsis den neuen Songs, beziehungsweise der neuen Richtung gegenüber, aber auch dadurch begründet, dass er durch sie seine Autorenschaft oder seine Vormachtstellung als Hauptsong-lieferant gefährdet sah.
Denn Hanzy Nischwitz und Humphy Sabothe hatten schon frühzeitig bewiesen, welches beachtliche musikalische Potential in ihnen steckte. Aber irgendwann schloß sich Nischwitz Degrays Sichtweise an und rückte von seiner Idee der Songs im Jukebox-Hit-Format ab. Obwohl Byers immer wieder darauf hinwies, welches außergewöhnliche und einmalige Songmaterial mit den neuen Aufnahmen vorhanden war und dass es keine andere Band auf der Welt gäbe, die vergleichbares machen würde, blieben die Aufnahmen unter Verschluss.
Begehrte Fanartikel 1987
Marquee Moon Live
Nigel Humphy Tom Hanzy
Marquee Moon heizen Fans ein!
Wie bei vielen anderen Marquee Moon Konzerten rastet auch hier ein Teil des Publikums vollständig aus.
"Die sich den Wolf tanzen!"
Auch Skid Byers hält es schließlich nicht mehr auf seinem Platz.
In späteren Jahren waren viele Gigs von Marquee Moon sowieso keine „gewöhnlichen" Auftritte mehr sondern verrückte Ereignisse, die eher übergeschnappten Spektakeln glichen als „normalen“ Konzerten, zu denen sich dann immer wieder zahlreiche "Verrückte", ebenso "übergeschnappte" Fans, hingezogen fühlten.
Humphy Sabothe- Sing, Nachtigal sing
Bereits während der Aufnahmen zu Strangers In The Monkey Biz war es ab und an zu kleinen Eifersüchteleien zwischen Degray und Sabothe gekommen. Zum einen spielte die Frage, wie viele Songs Sabothe im Verhältnis zu Degray zu der LP beisteuern sollte, eine Rolle. Zum anderen immer wieder die Frage, wer von beiden der bessere Sänger sei. Zwar hatte diese Frage schon hin und wieder mal im Raum gestanden, aber erst jetzt wirkte sie sich unangenehm auf die Bandatmosphäre aus. Auch an Byers war schon einmal die Frage herangetragen worden, ob er sich eventuell einen Sängerwechsel vorstellen könnte. Diesem Ansinnen war Byers allerdings rigoros entgegengetreten.
Unmissverständlich stellte er klar, dass es die Band nur mit Degray als Sänger oder gar nicht geben würde. Und spätestens nach der zweiten LP war der Standpunkt Byers für alle Beteiligten klar. Byers hätte es nie zugelassen, Degray als Sänger der Band auszutauschen. Darüber hinaus gab es noch weitere Probleme, denn auch die diversen Geldschwierigkeiten der Band trugen jetzt verstärkt zu einer angespannteren Atmosphäre bei. Gagen, die durch Auftritte hereinkamen, gingen so schnell sie gekommen waren auch wieder heraus.
Da Byers fast alle Aktivitäten der Band vorfinanzieren musste und die anderen Mitglieder laufend klamm waren, schwebte über ihnen ständig der Pleitegeier. Skid Byers saß fortwährend die Bank im Nacken und drohte mit Kündigung und sofortiger Rückzahlung der Kredite. Nur unter Aufbietung sämtlicher Tricks und Kniffe gelang es ihm, wieder und wieder, drohendes Unheil abzuwenden.
Überdies gab es immer öfter Meinungsverschiedenheiten unter den vier Bandmitgliedern. Darüber zum Beispiel, welches Equipment die Band anschaffen sollte. Sollten sie lieber einen Sender für Degrays Gitarre oder doch lieber das längst notwendige Podest für den Schlagzeuger kaufen? Es kam sogar vor, dass Petersen, Sabothe und Nischwitz die Abwesenheit Degrays nutzten, um Entscheidungen hinter dessen Rücken zu treffen, um damit Degray vor vollendete Tatsachen zu stellen. Oder der Baßmann versuchte geschickt, Byers dafür zu gewinnen, seinen Songanteil bei Plattenaufnahmen zu vergrößern.
Obwohl Byers sich dafür nicht einspannen ließ, bekam er von Sabothe immer mehr Songs, für die er einen Text schreiben sollte. Außerdem schien Sabothe immer mehr der Meinung zu sein, er wäre der bessere Sänger und ließ das Degray bei verschiedenen Gelegenheiten merken. Dies und einiges mehr wirkte sich zunehmend negativ auf die Stimmung innerhalb der Band aus und stellte das gegenseitige Vertrauen der Bandmitglieder auf eine harte Probe.
Tom Petersen- Ein kleines Glück
Neben Byers war es Schlagzeuger Tom Petersen der des Öfteren mahnend seine Stimme erhob. Beide versuchten immer wieder, die sich allmählich verstärkenden Spannungen zwischen Degray und Sabothe einzudämmen, konnten diese aber nicht beenden. Der Drummer hatte genug von den Mißstimmungen zwischen den beiden. Zwar gelang es Byers in vielen Fällen, die Empfindlichkeiten zu entschärfen und die Situation zu beruhigen, in der Folge jedoch sah Petersen diese Spannungen schließlich auch als Möglichkeit, sich von der Band zu verabschieden. Er hatte die ständigen Ge- reiztheiten sicherlich in jedem Fall satt, beschäftigte sich allerdings schon einige Zeit länger mit dem Gedanken, die Band zu verlassen.
Zusammen mit seiner Freundin „Ratz“ und einem Musiker-Freund wollte er lieber sein Glück in London oder vielleicht sogar in New York versuchen. Außerdem war der talentierte junge Schlagzeuger Ein- flüsterungen nicht abgeneigt, die ihm suggerierten, er wäre jetzt reif für eine internationale Karriere und die könne natürlich nicht in Deutschland beginnen. Ein weiterer Verbleib bei Marquee Moon wäre seinem schnellen Erfolg daher eher abträglich. Kurz darauf kam das Gerücht auf, Tom Petersen könnte bei The Cult als Schlagzeuger einsteigen. Es blieb bei dem Gerücht. In einem Interview der Band mit dem Berliner Stadtmagazin Zitty kommt Hanzy Nischwitz deshalb zu einer etwas anderen Sichtweise: „Es war so, als Tom zu uns kam, da war er 17 und völlig unbedarft. Irgendwann kannte ihn halt jeder und damit wurde er nicht fertig, wurde ein bisschen größenwahnsinnig.“ (60) Trotz dieser Kritik bedauerten alle in der Band Petersens Ausscheiden im Spätherbst 1987. Besonders Skid Byers konnte sich nur schwer an diese Tatsache gewöhnen und gab lange Zeit die Hoffnung nicht auf, Petersen könnte doch noch einmal zurückkommen. Das sollte dereinst dann tatsächlich auch geschehen, nur war es da für Byers längst zu spät.
Die Spannung steigt- oder: Musik liegt in der Luft
Als neuer Drummer stieß Marc Barlow dazu und fügte sich von Anfang an glänzend in die Band ein. Barlow begleitete schon kurz nach seinem Einstieg die bemerkenswerte Deutschlandtournee im Vorprogramm von den Kinks, im Dezember 1987. (Übrigens: Die Entscheidung für Marquee Moon als Supportband hatte Kinks-Chef Ray Davies persönlich getroffen.) (61) Marc Barlow, der durch die Vermittlung von Bassmann Humphy Sabothe zur Band kam, erwies sich als geeigneter Ersatz für Tom Petersen. Er war als Schlagzeuger in der Lage, in unglaublich kurzer Zeit das gesamte Live-Programm der Band einzuüben und während der Kinks-Tour einwandfrei abzuspulen. Auch sonst passte er gut zur Band, auch wenn er ein wenig schüchtern war. Das änderte sich aber, nachdem Byers und die anderen ihm ein paar Verhaltenstipps mit auf den Weg gegeben hatten. Obwohl diese Support-Tour für Marquee Moon ein voller Erfolg war, verdüsterte sich der Bandhimmel zusehends.
Die Spannungen zwischen Degray und Sabothe nahmen zu und beinflußten bald die Gesamt-Atmosphäre der Gruppe. Auch die musikalische Ausrichtung der Band führte immer häufiger zu Diskussionen und Auseinandersetzungen. Sabothe wollte noch immer in Richtung Indie-Pop und schrieb weiter entsprechende Songs. Und obwohl seine Kompositionen laufend besser wurden und er sich teilweise selbst übertraf, lehnte Degray sie ab. Byers musste ständig zwischen beiden vermitteln und ausgleichen. Aber auch Degray lief zu Höchstform auf und lieferte einige seiner besten Kompositionen ab. Zwischen den beiden ent- wickelte sich eine Art produktive Konkurrenz, ein Wettkampf um den besseren, nein, um den besten Song.
Wäre es gelungen diese (zum Teil bereits fertig aufgenommenen) Songs auf ein Album zu bringen, es wäre eine Sensation geworden. Bessere Songs hatte die Band nie gemacht.
Diese künstlerische Hochspannung hatte allerdings zwei Seiten. Sie verwandelte sich zum einen in pure, kreative Energie, und führte zum anderen dazu, dass fast sämtliche Songs dieses Zeitraumes lautlos in der Versenkung verschwanden und nicht wieder auftauchten.
Es gelang den Beteiligten nicht, ihre Spannungen auf einer kreativen Ebene abzubauen. Die Band besaß einen unglaublichen musikalischen Schatz und war sich darüber auch absolut im Klaren. Darauf angesprochen kommentierte Hanzy Nischwitz das mit den Worten: „Mann, Alter, solche Songs schreiben wir doch jederzeit wieder.“(62)
Die Ironie des Schicksals dabei ist: Degray, Nischwitz und auch Sabothe wären tatsächlich jederzeit in der Lage gewesen solche Songs wieder zu schreiben. Sie taten es nur nicht mehr! In keiner späteren Phase der Band wurde dieses Potential jemals wieder aktiviert. Frustriert und entnervt verließ Humphy Sabothe schließlich Mitte des Jahres 1988 die Band. Die ganze Situation hatte ihn zermürbt.
Die Deutschland-Tournee mit den Kinks
Kinks-Chef Ray Davis, Humphy, Nigel, Marc, dahinter Skid und Hanzy vorne
Marquee Moon live, im Vorprogramm der Kinks: Humphy, Marc, Nigel
Humphy und Marc überprüfen ihre Instrumente
Marc, Nigel, Humphy
Marquee Moon-Booklet zur Kinks-Tour
Zum Beispiel Karlsruhe
17. Dezember 1987
Schwarzwaldhalle
Was am nächsten Tag darüber in der Presse zu lesen war:
„Der Veranstalter hatte sich wahrscheinlich gedacht: >>das wird ein netter Oldie Abend<< und hatte die Halle komplett bestuhlt. Das war ein Fehler, wie schon die Vorgruppe, eine Punk Band namens „Marquee Moon“, bewies. Und die Kinks, schließlich so etwas wie die Urväter des Punk sorgten endgültig dafür, das die Stühle definitiv nicht zum sitzen verwendet wurden“.
Backstage-oder: Hinter den Kulissen
Ein bißchen Spaß muß sein:
Marquee Moon hatten Backstage sehr viel Spaß!
Da waren’s nur noch drei
Von nun an waren Marquee Moon nur noch zu dritt, Degray, Nischwitz und Barlow. Byers als quasi vierter Mann lenkte weiter, hinter den Kulissen, die Geschicke der Gruppe. Die Band ging zwar wieder auf Tour, doch jetzt kam es immer stärker zu Spannungen zwischen Nischwitz, Degray und Byers, bezüglich der musikalischen Richtung. Nischwitz und Degray wollen lieber eine härtere Gangart einschlagen, Byers wollte bei der bisherigen Linie bleiben. Vergeblich versucht er die beiden zu überzeugen.
Seine Hinweise auf das enorme Potential und die Ausbaufähigkeit des neuen Materials zeigten keine Wirkung. Die Band traute ihren eigenen Songs nicht. Byers sah in der von Nischwitz und Degray angestrebten Richtung keine langfristigen Erfolgschancen. Er sah zwar die Möglichkeit, dass die Gruppe auch mit dieser Ausrichtung Erfolg haben könnte, dies aber nur, weil er wusste was an Kreativität und Genie in dieser unglaublich talentierten Truppe steckte und wozu sie fähig war. Er war jedoch sehr unzufrieden darüber, dass die Band auf wundervollem Songmaterial, echten Song-Diamanten, saß und nicht bereit war, diese der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Aus Byers Sicht hätte die von Nischwitz und Degray angestrebte, neue Ausrichtung alles infrage gestellt, was die Band bisher erreicht hatte und er befürchtete, dass sie sich dadurch, ohne Not, selber demon- tieren würde. Das war nicht das, wofür er bisher gearbeitet hatte, denn er sah die Band auf einem ganz anderen Weg. Durch den Kurswechsel schwand für ihn das Fundament, auf dem er und auch die Gruppe bisher gestanden hatte.
Er gewann den Eindruck, dass diese gemeinsame Grundlage ihm jetzt entzogen wurde. Eine Zeitlang hatte allerdings auch Nigel Degray Zweifel, ob dieser Wechsel wirklich richtig war. Dagegen war Hanzy Nischwitz jedoch überaus zuversichtlich bezüglich des neuen musikalischen Kurses und überzeugte schließlich auch Degray, diesen Weg mitzugehen.
Denn sie wissen nicht was sie tun
Dieser Konflikt schwelte unter der Oberfläche noch ein gutes Jahr weiter. Irgendwann im Verlauf des Jahres 1989 entschloss sich Skid Byers einen Schlußstrich zu ziehen und das Management der Band aufzugeben. Zu tief waren inzwischen die Gräben. Byers konnte nicht nachvollziehen, was Nischwitz und Degray veranlasste, so unerwartet die Richtung zu wechseln. Byers war darüber sehr un- glücklich und enttäuscht. Diesen Weg wollte er nicht mitgehen. In Laufe der Monate hatte ein leiser, schleichen- der, ganz allmählicher Entfremdungsprozess eingesetzt. Der Abstand zu den alten Freunden wurde immer größer und er hatte den Eindruck, dass seine engsten Vertrauten, die zwei anderen Bandmitglieder, sich immer mehr von ihm entfernten. Oder er sich von ihnen? So gingen sie fast unmerklich auseinander. Es gab keinen Streit, es fiel kein böses Wort und dennoch war es plötzlich aus. Die Würfel waren gefallen. Der Bruch war vollzogen. Der Lotse ging von Bord. Das war das Ende einer großartigen, lang- jährigen Freundschaft.
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Diese Entscheidung hat die Band Byers nie verziehen. Es muss ihnen wie Verrat vorge- kommen sein, als er sie verließ. Der Band wurde erst nach und nach klar, was Byers Abschied für sie bedeutete. Eine Weile dachten sie noch, ganz leicht auch ohne ihn klar zu kommen. Doch das erwies sich als Irrtum. Sie hatten nun niemanden mehr, der sich so engagiert und persönlich für sie eingesetzte. Möglich war dies nur deshalb gewesen, weil Byers aus dem innersten Kreis der Band kam, mit ihr vollständig verwurzelt war und in ihr aufging. Deshalb lehnte Byers auch das Angebot eines Musikverlages ab, eine andere Band zu managen.
Sein Weggang bei Marquee Moon hinterließ eine Lücke, die nicht wieder geschlossen werden konnte. Niemand innerhalb oder außerhalb der Band konnte ihn ersetzen. Mit Skid Byers verloren Marquee Moon nicht irgendwen, sondern einen Freund und Impresario erster Güte, der für das Image und das Renommee der Band verantwortlich und unersetzlich war. Durch ihr musikalisches Talent, aber eben auch durch seinen Einsatz, seine Inspiration und seine Cleverness hatte es die Gruppe so weit gebracht. Nun hatten sie ihn verloren, ihren unermüdlichen Manager. Auch gab es dadurch keinen Textschreiber mehr, der so gute, so mystische und romantische, so Marquee Moon-typische Songtexte erdenken konnte. Ein doppelter Verlust für die Band. Es bleibt allerdings die Frage, ob sich auch Byers zu diesem Zeitpunkt der vollen Tragweite seiner Entscheidung bewusst war.
Degray und Nischwitz wollten sich diesbezüglich, eigentlich, nichts anmerken lassen. Trotzdem machten beide noch lange Zeit danach, auf die ihnen eigene Art, keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung über seinen Weggang. Sie sprachen nun gerne ironisch über ihn, das schaffte Distanz, das machte die Trennung leichter aushaltbar. Jetzt mochten sie kein gutes Haar mehr an Byers lassen. Zu tief saß dieser Stachel. Es begann eine schwere Zeit. Für die Band war es dabei Glück im Unglück, dass sie selbst Jahre später noch auf die von Byers aufgebauten Kontakte zurückgreifen konnten.
Nigel Degray und Skid Byers- oder: Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Party
Für Degray war Byers Weggang besonders schmerzlich. Schließlich kannten sie sich schon sehr viele Jahre und es verband sie eine lange und innige Freundschaft. Degray und Byers waren ein perfekt aufeinander eingespieltes Team. Sie verstanden sich in jeder Hinsicht blind. Ein Wort, eine Geste manchmal reichte ein einziger Blick und jeder wusste, was der andere dachte. Wenn sie wollten, konnten sie ganze Gesellschaften, größere oder kleinere Partys, alleine, nur durch ihren Wortwitz, belustigen und unterhalten. Witzeln, blödeln, Dummheiten machen, darin waren sie seit Jahren geübt. Geschickt, äußerst einfallsreich und launig warfen sie sich die Bälle ständig gegenseitig zu, bis sie sich manchmal selber vor Lachen nicht mehr halten konnten. Und die anderen Anwesenden auch nicht.
Überall waren sie gerngesehene Gäste und wahrscheinlich wurden sie oft nur wegen ihres einzigartigen Unterhaltungswerts eingeladen. Und sie ließen auch keine Feier aus. Je länger eine Fete ging, und je mehr Frauen anwesend waren, desto mehr liefen die beiden zu Höchstform auf. Und bei vielen Frauen hinterließ ihre Art von Humor einen bleibenden Eindruck. Die Stimmung kochte regelmäßig über, wenn andere Partygäste unbedachter Weise versuchten, mit ihnen mitzuhalten und es ihnen gleich zu tun. Wenn also ahnungslose Herren ebenfalls anfingen, den anwesenden Damen ihre Witzigkeit unter Beweis stellen zu wollen. Insbesondere wenn Degray und Byers sie als mögliche Konkurrenten, die Damenwelt betreffend, identifiziert hatten kam Freude auf.
Manchmal warteten Byers und sei langjähriger Kompagnon geradezu auf eine solche Gelegenheit. Und sie hatten auch ein nicht unerhebliches Talent solche Situationen her- zustellen und einen vorwitzigen, leichtfertigen Gast sodann in ihre „Humorfalle“ zu manö- vrieren. Das war ein gefundenes Fressen für die beiden Partylöwen. Wenn derjenige Pech hatte, zogen ihn die zwei so dermaßen durch den Kakao, das er sich schon nach kurzer Zeit wünschte er wäre auf dem Mond oder in irgendeinem Dschungel in Südamerika, Hauptsache weit weg. Und sie machten das alles mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Schlagfertigkeit. Bis auf den Betroffenen selbst waren alle anderen restlos begeistert. Die betroffenen Herren blieben meist den darauffolgenden Geselligkeiten bis auf weiteres fern.
Das einzige was ab und zu einen leichten Schatten auf ihre Freundschaft warf war, wenn sie sich wieder einmal gegenseitig die Freundin ausgespannt hatten. Unerfreulicher Weise für beide besaßen sie, was die Frauenwelt betraf, den gleichen Geschmack. Das konnte dann schon mal eine zeitlang für Unstimmigkeiten sorgen. Aber nach einer entsprechenden Aussprache und ein paar hochprozentigen Drinks ließen sich alle Auseinandersetzungen und Situation dann doch wieder bereinigen. Jeder hatte im anderen die entsprechende Ergänzung gefunden. Byers bewunderte insbesondere die Songschreiberqualitäten Degrays und war fest davon überzeugt, dass Degray eines Tages zu den großen Songwritern dieser Welt gehörten würde. Byers hatte echte Hochachtung vor Degrays Können und dessen Fähigkeit, hochkarätige musikalische Highlights am laufenden Band zu produzieren. Und Degray konnte sich keinen besseren Texter für seine Songs vorstellen als Byers. In der Berliner Musikszene der achtziger Jahre gab es nicht wenige, die mit Neid auf dieses Songwriterteam und die Band als Ganzes blickten. Deshalb ließ sich, was die Band betraf, auch ein Slogan von damals besonders gut auf sie anwenden: „Berlin fletscht seine Szene“. Zumindest ein Teil der „Berliner Szene“ fletschte ihre Zähne in Richtung Marquee Moon.